- romanische Architektur: »Als ob die Welt sich erneuerte«
- romanische Architektur: »Als ob die Welt sich erneuerte«Es war, als ob die Welt sich erneuerte, das Alte abwürfe und überall ein glänzendes Gewand von Kirchen anlegte«, notierte der Mönch Rudolfus Glaber in seiner Chronik zum Jahre 1003. Auch wenn sie heute anders aussehen oder von späteren Kathedralen verdrängt wurden, prägen die damals neu entstandenen Bischofs- und Klosterkirchen noch immer unser Bild von einem christlichen Europa des Mittelalters. Ihre vielfältige Erscheinung sucht man unter dem kunstgeschichtlichen Stilbegriff »Romanik« einzuordnen, der aber eigentlich nur eine Epoche umschreibt, die zeitlich von etwa 1000 bis etwa 1250 anzusetzen ist; in der Île-de-France und den angrenzenden Landschaften reicht sie sogar nur bis um 1140, in England bis 1180, in Westfrankreich bis gegen 1200. Die Vorstellung des frühen 19. Jahrhunderts, die mittelalterliche Architektur habe sich - entsprechend den aus dem Lateinischen hervorgegangenen romanischen Sprachen - unter dem Einfluss der Germanen kontinuierlich aus der römischen Baukunst entwickelt, erweist sich nämlich als falsch: Römische Architekturformen wurden nicht nur in der Völkerwanderungszeit, sondern im ganzen frühen Mittelalter in weiten Teilen Europas nicht fortgeführt oder zumindestens weitgehend reduziert. Trotzdem setzte sich der aus der Analyse des Sakralbaus gewonnene Begriff der »Romanik« gegenüber anderen, aus der Baukunst selbst entwickelten Bezeichnungen (»Rundbogenstil«) durch und wurde sogar auf die Skulptur, die Wand- und Buchmalerei sowie auf das Kunsthandwerk übertragen.Typologisch ist der romanische Kirchenbau in starkem Maße durch die Entstehung der altchristlichen Basilika im 4. Jahrhundert und ihre Rezeption in vorromanischer Zeit bestimmt. So zeigt die Apsis den Standort des Altars an und dient das Langhaus als Versammlungsort der Gemeinde. Man darf jedoch nicht den Fehler begehen, die seit der Reformation und dem Konzil von Trient übliche Nutzung des Kirchengebäudes auf das hohe Mittelalter zu übertragen: Gemeindegottesdienste gab es so gut wie nicht, und die volkssprachliche Predigt setzte sich erst mit den Bettelorden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts durch. Demzufolge spielte die Pfarrkirche nur eine untergeordnete Rolle; tonangebend waren vielmehr die dem Klerus vorbehaltenen Bischofskirchen (Dome, Kathedralen), Stifts- und Klosterkirchen, die aber kaum grundsätzliche typologische Unterscheidungen zulassen.Weit verbreitet ist die Ansicht, dass die Liturgie die Struktur des romanischen Kirchenbaus - etwa seine verschiedenen Chorlösungen - bestimmt habe. Ungeklärt bleibt dabei aber, warum etwa der Chorumgang mit Kapellenkranz fast nur im westlichen Frankenreich und vereinzelt in Italien als Adaption spätantiker und karolingischer Vorformen anzutreffen ist, kaum jedoch im deutschsprachigen Reichsgebiet, in Oberitalien und in der Toskana. Bei einigen Kirchen steht überdies die architektonische Form geradezu im Gegensatz zu den liturgischen Erfordernissen: In Sankt Maria im Kapitol zu Köln mit ihrer Dreikonchenanlage in Kleeblattform und mit Umgängen weisen etwa die Querkonchen keine Altäre auf, sondern Portale und einen liturgischen Chor in der ausgeschrankten Vierung. Man muss sich daher fragen, ob nicht am Baubeginn die in gewissem Sinne »modische« architektonische Idee stand - inspiriert, aber keineswegs zwangsläufig dominiert von der Liturgie.Ebenso schwierig ist die inhaltliche Deutung architektonischer Strukturen und Einzelmotive im Sinne einer ikonologischen Bedeutung. Das Wiederaufgreifen der spezifisch stadtrömischen Form des Querhauses von Alt-Sankt Peter durch die Karolinger ist zwar eine einleuchtend, aber nicht durch zeitgenössische Quellen belegbare Interpretation. In Mittel- und Oberitalien, Bayern, aber auch in Teilen Frankreichs selbst blieb das Querhaus bei großen Kirchen eine Ausnahme. Auch die Antikenrezeption (»Renaissance«) am Ende des 11. Jahrhunderts inCluny III und Burgund, in Speyer, Florenz, Pisa, Lucca und in der Provence ist unterschiedlich und lässt verschiedene Deutungen zu: die Berufung auf eine christliche Antike oder auf den römischen Kaiser, als dessen unmittelbare Nachfolger sich die mittelalterlichen Kaiser gegenüber dem Papst sahen.Überdies entwickelte die romanische Architektur regional sehr unterschiedliche Charakteristika, auch wenn sich in einigen Fällen eindeutig Zentren und Vorbilder ausmachen lassen. Ein gewisser Transfer von Typen, aber auch Formen kann man durch die große Mobilität der hohen Geistlichkeit erklären, die häufig Bauherren und Architekten in einem waren. Wandernde Steinmetzen sorgten für eine Verbreitung insbesondere der Skulptur und der Bauzier. Sprachgrenzen spielten offenbar nur eine geringe Rolle. Die unterschiedliche Dichte der erhaltenen Bauwerke erklärt sich einerseits durch den jeweiligen Grad von Romanisierung und Urbanisierung bereits in der Spätantike - nämlich die abnehmende Dichte an Städten von Italien über Süd- und Nordgallien nach Germanien -, andererseits durch den Grad des Landesausbaus, der in Mittel- und Südwestfrankreich ungleich weiter fortgeschritten war als in Deutschland westlich und erst recht östlich des Rheins. Generell gilt, dass die Kirche mit ihren Bischofssitzen die eigentliche Erbin der römischen Verwaltung war, was sich besonders gut in Deutschland ablesen lässt, wo sich die alten Bischofssitze sämtlich in römischen Stadtgründungen befinden.Noch als der Norden und Osten Europas im 11. und 12. Jahrhundert christianisiert wurde, bildeten einschiffige Saalkirchen die überwiegende Zahl christlicher Kultbauten. Für anspruchsvollere Bauten wurde dann in Zentraleuropa einschließlich Englands die Basilika in ihren vielfältigen Abwandlungen zum Grundtyp, während der Südwesten von Anfang an die Hallenkirche mit annähernd gleich hohen Schiffen ohne belichteten Obergaden bevorzugte. Nach vorsichtig tastenden Versuchen erschien im 11. Jahrhundert sowohl bei Basiliken wie auch bei Hallenkirchen die Empore über den Seitenschiffen. Obwohl man dies als Übernahme eines frühchristlich-östlichen Typs begreifen kann, spielte hier doch sicherlich auch der Wunsch nach größerer Höhe des Mittelschiffs und gliedernden Strukturen über den Seitenschiffen eine entscheidende Rolle. Der Wunsch nach zusätzlichem Raum scheidet dagegen als Begründung aus, da nur selten eine liturgische Nutzung durch zusätzliche Altäre nachweisbar ist.Anfänglich liturgisch-funktional bedingt waren dagegen die Krypten, bei deren Entstehung der Reliqien- und Märtyrerkult eine entscheidende Rolle spielte: Das Grab des Märtyrers unter dem Altar sollte zugänglich bleiben, weil man die Berührung mit ihm suchte. Alsbald weitete sich dieser Raum, zu dem stollenartige Gänge führten, zur gottesdienstlichen Nutzung. Am Beginn der Romanik traten dann die ersten großen Hallenkrypten als Unterkirchen auf, weitgehend losgelöst von einem direkten Grabkult, weil man die Gebeine der Heiligen ab dem 12. Jahrhundert in kostbaren Schreinen über die Altäre der Oberkirche erhob. Die architektonische Form der Krypta hatte sich verselbstständigt und prägte nun ihrerseits die liturgische Nutzung. Ähnlich erging es den in karolingischer Zeit entwickelten Westwerken und Westbauten, die in ihrer komplizierten, zentralbauartigen und mehrgeschossigen Struktur ursprünglich repräsentative, für die kaiserliche Nutzung bestimmte und damit funktionsbedingte Anlagen gewesen sein mögen, aus denen später aber eigene Vorkirchen verschiedenartigster Ausprägung wurden.Auch der Zentralbau hatte als bauliche Idee während der Romanik Bestand: Im Norden kopierte er meist die Pfalzkapelle in Aachen; im Süden - etwa in Parma, Pisa oder Florenz - entstanden ganz in antiker Tradition zahlreiche Baptisterien von zum Teil enormen Ausmaßen und prächtiger Ausstattung, bei denen es sich häufig um Darstellungen des heiligen Grabes in Anlehnung an die Rotunde der Grabeskirche in Jerusalem handelte. Einen gewissen Zentralbaucharakter zeigen auch die meisten der zweigeschossigen Doppelkapellen vornehmlich im deutschen Sprachgebiet, die sowohl Bischöfen als auch Königen und dem hohen Adel als repräsentative Palastkapellen dienten.Prof. Dr. Dethard von WinterfeldBernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, herausgegeben von Michael Brandt und Arne Eggebrecht. 2 Bände. Hildesheim u. a. 1993.Kubach, Hans Erich: Romanik. Neuausgabe Stuttgart 1986.Die Kunst der Romanik. Architektur, Skulptur, Malerei, herausgegeben von Rolf Toman. Köln 1996.
Universal-Lexikon. 2012.